Direkt an der hohen Betonmauer, die Israel von Palästina trennt, liegt das Aida-Flüchtlingscamp in Bethlehem. Ein Ort, an dem sich Geschichte und Gegenwart auf schmerzhafte Weise überlagern. Hier leben rund 5000 Menschen in beengten Verhältnissen, und Häuser erzählen mit Einschusslöchern von den vielen Angriffen und Schüssen, die das Camp immer wieder erfahren muss.
Wir betreten das Aida-Camp durch einen Torbogen, über dem ein riesiger Schlüssel thront – ein Symbol für die verlorenen Häuser und zerstörten Dörfer der PalästinenserInnen. Direkt dahinter befindet sich das Lajee Center, ein Hoffnungsort inmitten der Unsicherheit.
Geschichten des Leids – und der Hoffnung
Während unseres Besuchs hören wir von Aboud, einem Jungen, der vor einigen Jahren beim Spielen erschossen wurde – gerade einmal 13 Jahre alt. Eine Gedenktafel erinnert an ihn. Nicht weit entfernt steht eine weitere, die an über 200 Kinder erinnert, die 2004 in nur einer Woche während eines Angriffs israelischer Soldaten ihr Leben verloren. Es ist schwer zu ertragen, eine Schande, die internationalen Kinderrechten widerspricht.
Während wir uns im Camp bewegen, bemerken wir die israelischen Militärbeobachtungstürme. Irgendwo dort oben sitzt jemand, der uns beobachtet. Ein beklemmendes Gefühl macht sich in mir breit – ein Gefühlschaos aus Wut, Trauer und Hilflosigkeit.
Lajee – Ein Zentrum für Kultur, Bildung und Widerstand
Lajee bedeutet auf Arabisch „Flüchtling“. Gegründet im Jahr 2000 von jungen Menschen aus dem Camp, hat sich das Zentrum zu einem kulturellen und kreativen Zufluchtsort für palästinensische Jugendliche entwickelt. Hier können sie tanzen, musizieren und sich künstlerisch ausdrücken. Kurse für den traditionellen palästinensischen Tanz „Dabke“, Musikkurse und Kochworkshops geben ihnen eine Möglichkeit, ihre Identität und Kultur lebendig zu halten.
Das Hauptziel des Lajee Centers ist es, jugendlichen Flüchtlingen, die in der Gesellschaft oft übersehen werden, kulturelle, bildungsbezogene und soziale Chancen zu bieten. Trotz aller Widrigkeiten wächst hier eine Generation heran, die sich für soziale Gerechtigkeit und Freiheit einsetzt. Die palästinensische „Sumoud“ – Standhaftigkeit und Resilienz – ist tief in diesen Menschen verwurzelt.
Unterstützung über Grenzen hinweg
Lajee ist nicht allein. Das Zentrum wird von vielen lokalen und internationalen Organisationen unterstützt, darunter z.B. Playground for Palestine, 1for3, MacMillon oder Grassroots. Ihre Arbeit ist nicht nur für die Flüchtlinge im Camp gedacht, sondern steht allen PalästinenserInnen in der Region Bethlehem offen.
Und jetzt, nach unserem Besuch, haben sie auch uns als Freunde. Wir sind berührt von der Hingabe der Mitarbeitenden, die tagtäglich für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Die Menschen hier leben in einem Konflikt, den sie seit ihrer Geburt kennen und der sie prägt – den sie aber nicht begonnen haben. Sie sind gefangen in ihrer eigenen Heimat – und dafür zahlen sie mit Leid und Terror.
Sie brauchen unsere Gebete und unsere Unterstützung – denn solange es Menschen gibt, die sich erinnern, erzählen und helfen, bleibt auch die Hoffnung für die PalästinenserInnen in Bethlehem lebendig.
Nicole Tiede, im Vorstand des MH