Bericht Rumänien 2022
Seit 2021 unterstützt das Mennonitische Hilfswerk ein Projekt in Rumänien, welches sich mit den Themen Prostitution und Menschenhandel befasst. Rumänien ist diesbezüglich eines der am meisten betroffenen EU-Länder. Laut dem TIP-Report (Trafficking in Persons Bericht von der US-Regierung[1]) ist es nach wie vor ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für Frauen und Kinder, die Opfer der sexuellen Ausbeutung werden.
Armut ist ein großer Faktor für den Einstieg in die Prostitution, denn Rumänien ist eines der ärmsten Länder in Europa. Viele junge Frauen versuchen ihre Suche nach einem besseren Leben außerhalb von Rumänien und können so in die Prostitution geraten. Viele dieser Frauen landen in Deutschland. Laut dem Bundeslagebild über Menschenhandel 2020[2] vom Bundeskriminalamt waren rumänische Frauen die drittgrößte Opfergruppe von Menschenhandel zum Zweck sexueller Ausbeutung in Deutschland. Auch die Jahre davor waren diese Zahlen hoch.
Asociatia FREE nimmt sich dieser Thematik an und leistet seit der Gründung 2013 Hilfestellungen für Frauen und Kinder in der Prostitution in Bukarest und Umgebung. Sie sind eine glaubensbasierte NGO, gehören aber keiner bestimmten Kirche an. Die meisten Mitglieder und Ehrenamtliche sind Protestant:innen. Die gesamte Finanzierung der Arbeit erfolgt durch Spenden von Einzelpersonen oder Kirchen (meist baptistisch, pfingstlerisch oder protestantisch).
Ihr Ziel ist es, ein Vertrauensverhältnis zu Frauen in der Prostitution aufzubauen, diejenigen zu unterstützen, die aus der Prostitution aussteigen wollen und das Leben der Betroffenen, denen sie begegnen, ganzheitlich wiederherzustellen. Außerdem wollen sie durch Präventionsarbeit die Kinder davor bewahren, in die Prostitution oder Zuhälterei einzusteigen.
Bislang haben sie das durch aufsuchende Arbeit und stationäre Unterstützung gemacht. Da Prostitution in Rumänien offiziell illegal ist, findet die meiste Prostitution „in-door“ statt, also in Massagesalons, Bordellen, Wohnungen und Hotels. Ca. 80 % des gesamten Geschäfts geschieht allerdings online. Hier bietet Asociatia FREE ebenfalls Onlineangebote für die Frauen und Kinder an.
Abgesehen von dem Online-Angebote und der direkten aufsuchenden Arbeit in den Prostitutionsausübungsorten konnte Asociatia FREE mit der Unterstützung vom MH ein multifunktionales Tageszentrum mieten und renovieren, in denen sie nun verschiedene Angebote anbieten, um den Frauen und Kindern zu begegnen. Ein Ort der Zuflucht, Ruhe und Wärme für Frauen und Kinder in der Prostitution, an dem sie wertgeschätzt werden und ehrliche Hilfe erfahren.
Hier nur einige Beispiele von den Angeboten im Tageszentrum:
- Eine Möglichkeit zum Duschen
- Materielle Spenden (z.B. Kleidung oder Spielzeug) und Lebensmittelpakete
- Gruppen- und Einzeltherapie
- Individuelle soziale Unterstützung
- Ein Café
- Tanzkurze, Kochkurse, etc.
- Kunsttherapie
- soziales Unternehmen „Jolie Craft“: Betroffene Frauen stellen Produkte zum Verkauf her (z.B. Seifen, Schmuck, etc.)
- Filmabende
- Feste zu Weihnachten, Ostern, Weltfrauentag, etc.; eine Möglichkeit als Gemeinschaft zu feiern
- Maniküre, Frisieren durch Freiwillige
- Bibelstudium
Für die Kinder:
- Hausaufgabenbetreuung, Nachhilfe
- Kinderclub mit Bibelgeschichten, Liedern und Spielen
- Sportliche Aktivitäten
- Einzel- oder Kunsttherapie
- Ferienlager
- Prävention zu sexueller Ausbeutung
Asociatia FREE möchte durch diese verschiedenen Aktivitäten mit den Frauen sichere Beziehungen schaffen, die es ihnen irgendwann erlauben, sie zu ermutigen, zu inspirieren oder eine Veränderung in ihren Leben zu unterstützen. Hier eine Rückmeldung einer Nutznießerin: „Ich habe persönlich eine sehr schwierige Zeit durchgemacht. Als ich heute früh ins Büro kam, hatte ich nicht erwartet, dass ich mich entspannen würde. Aber das habe ich. Der Ort selbst, die Möbel, die Atmosphäre, das Personal, alles war so entspannend. Mein Sohn hat das Spielzimmer geliebt und fragt mich jetzt, wann wir wieder kommen.“
Eine weitere inspirierende Geschichte einer Nutznießerin: Mary[3] hat sich prostituiert und fand Hilfe und Zuflucht bei Asociatia FREE. Sie war regelmäßig mit einer Sozialarbeiterin im Gespräch und schien positive Veränderung zu erfahren. Jedoch hat sie sich von einem Mann manipulieren lassen, der ihr die große Liebe vorspielte. Ab einem gewissen Punkt setzte er sie unter Drogen und zwang sie zurück in die Prostitution. Es war ein Schock für die Sozialarbeiterin, als sie Mary wieder im Bordell traf, aber leider ist es keine Seltenheit, dass Frauen zurück in die Prostitution gehen, freiwillig oder gezwungenermaßen. Asociatia FREE organisierte eine Rettung und half ihr erneut bei einem Entzug und mit Therapien. Seitdem geht es ihr wieder besser. Sie ist sehr engagiert und hilft beim Kochen und Putzen. Obwohl sie noch Angst hat, allein aus dem Haus zu gehen, hat sie schon große Fortschritte gemacht. Die Sozialarbeiterin über Mary: „Wir hatten die Gelegenheit, mit ihr Zeit mit ihr zu verbringen, gemeinsam zu kochen und zu feiern. Das gab ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein und geschätzt zu werden. Und zwar ehrlich und bedingungslos.“
2021 schaffte Asociatia FREE 5215 Aktionen und/oder Angebote mit 534 Frauen und Kindern. Es gab Straßeneinsätze in sieben verschiedenen Städten und 290 ehemalige Prostituierte haben rehabilitierende Versorgung erhalten.
Wir freuen uns, dass wir als Mennonitisches Hilfswerk ein Teil von dieser wichtigen Arbeit sein dürfen.
Hier einige Eindrücke mehr auf Youtube (alle Videos sind auf Englisch):
Interview mit der Gründerin Laetitia: https://www.youtube.com/watch?v=XuUVT-1ssY8
Die Situation von Prostitution in Rumänien: https://www.youtube.com/watch?v=8OeWwy42Pgc
[1] U.S. Government (2020): Trafficking in Persons Report. Online verfügbar unter: https://www.state.gov/reports/2020-trafficking-in-persons-report/
[2] BKA (2020): Bundeslagebild Menschenhandel. Online verfügbar unter: https://www.bka.de/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/JahresberichteUndLagebilder/Menschenhandel/menschenhandelBundeslagebild2020.html
[3] Name wurde geändert